Kein Sex mit einem Millionär

 

1

 

„Mein Gott, was redest du wieder für dummes Zeug!“, knallt mir mein Mann um die Ohren, während wir mit seinen Geschäftsfreunden in einem Restaurant zu viert am Tisch sitzen und über Politik reden. Gähn! Ich habe mir erlaubt, meinen Senf dazuzugeben, eine kleine Anmerkung zu machen, als ich merkte, dass mein werter Gatte falsch informiert ist. Aber erneut ist es ihm gelungen, seine eigenen Unzulänglichkeiten zu verbergen, indem er mich als latent verblödet darstellt. Peinlich berührt hüstelt Herr Hühnerbein in die Serviette, auch seine Frau popelt mit der Gabel im Fleisch herum und überlegt, wie sie die gute Stimmung retten kann. Komisch, dass mein Daniel solche Überlegungen nie anstellt, schließlich bringt er uns regelmäßig in solch eine Lage, in der man gerne vor Schmach im Boden versinken möchte. Ich überlege, mir eine Tüte über den Kopf zu ziehen, um mir damit kurzfristig das Gefühl zu geben, nicht hier zu sein.

Seine Beleidigung zu kommentieren, erspare ich mir, immerhin haben wir uns gerade ausreichend zum Gespött des Abends gemacht. Das bedarf keiner Fortsetzung.

„Entschuldige“, sage ich leise und lege mein Besteck beiseite. Mir ist der Appetit vergangen. 

„Wenn du es nicht besser weißt, halte dich aus dem Gespräch heraus“, tritt Daniel nach. 

Jetzt bin ich still und möchte meinem Gemahl gerne meine Roulade ins vorlaute Mundwerk stopfen, da ich sie ohnehin nicht mehr essen werde. Doch ich halte mich zurück und schlucke meine Wut herunter. 

„Sagen Sie, Herr Hartmann“, geht Frau Hühnerbein dazwischen, „wohin fahren Sie eigentlich dieses Jahr in den Urlaub?“

Geschickt hat sie das Thema gewechselt und die Lage entschärft.

Da erwacht Daniel zu neuem Leben, denn über Urlaube redet er gern. Als hätte es seine Entgleisung nicht gegeben, gerät er in feurige Ekstase. 

„Dieses Jahr haben wir fünf Reisen geplant. Im Frühjahr werden wir wieder eine Kreuzfahrt machen, diesmal auf dem Mittelmeer“, antwortet er voller Inbrunst.

„Oh“, entfährt es Frau Hühnerbein, „das ist ja großartig. 

„Ja, aber dieser Trip ist nicht unser Haupturlaub, den werden wir in Südafrika verbringen, nicht wahr, Leonie?“ Er lächelt mich an und stößt mir seinen Ellenbogen gegen den Oberarm. „Da freuen wir uns besonders drauf.“

„Klar“, sage ich und verstumme sogleich wieder. Ich möchte nicht noch einmal zurechtgewiesen werden, weil ich in seinen Augen Müll rede.

„Du hast diese Reise doch gebucht, sag ruhig auch mal was dazu.“

„Ja, später, ich muss mal aufs Klo“, erwidere ich gereizt und erhebe mich. Ich hänge mir meine Handtasche über die Schulter und erwäge, einfach zu gehen. Stattdessen steuere ich die Waschräume an, ich Feigling! Ich weiß nicht, warum er mich ständig bloßstellen muss. Natürlich habe ich die Reise nicht gebucht, sondern er. Ich habe keinen blassen Schimmer, wohin es genau geht und welche Hotels er für uns ausgesucht hat. Ich hasse es zu verreisen! Meine Heimat ist mir lieb und teuer und ebenso mein Hobby. Ich male. Seit meiner Jugend beschäftige ich mich mit der Malerei und könnte den ganzen Tag nichts anderes tun. Warum soll ich in die weite Welt fahren, wenn ich mit dem, was mir das Leben hier bietet, äußerst zufrieden bin? Daniel möchte am liebsten von einem Kontinent zum nächsten springen, und das mehrmals im Jahr. Vielleicht rennt er vor irgendetwas davon, ist auf der Suche nach einer Offenbarung. Bloß in der Ferne wird er sie nicht finden. Eine Exkursion in sein übertriebenes Ego könnte ihm guttun. Womöglich stößt er dabei mal auf sich selbst und erkennt, was er für ein selbstverliebter Blödmann ist.

 

Er war nicht immer so. Früher war er mal nett, damals – vor langer Zeit. Wir haben für eine Modekette gearbeitet, waren Kollegen, besser gesagt, Auszubildende. Während ich nach der Lehre ging, um Kunst an der Universität zu studieren, blieb er im Unternehmen und arbeitete sich bis in die Geschäftsleitung empor. Wir kauften uns ein Haus und genossen das bessere Leben. Bald darauf heirateten wir und zogen in ein noch größeres Haus. Zwar wusste ich nicht, wozu das nötig war, immerhin waren hundertfünfzig Quadratmeter mehr als genug, aber Daniel war der Meinung, ein „Schloss“ würde was hermachen und Geschäftsfreunde wären imponiert. Da er seine Firma repräsentiert, braucht er eben die zweihundertfünfzig Quadratmeter. Dass wir unseren Palast nur zu zweit bewohnen, zählt nicht. Den kann ja eine Putzfrau in Schuss halten und den Garten ein Gärtner. 

Logisch, dass ich darauf nicht von allein gekommen bin. Bin halt dumm wie Bohnenstroh. Keine Ahnung, wie oft mir Daniel das Gefühl gibt, ein gehirnloser Torfkopf zu sein – oft genug, dass ich es selbst glaube. 

 

Ich stehe vorm Spiegel und pudere meine Nase. Dabei starre ich in mein Gesicht und frage mich, ob ich noch attraktiv bin. Seit zwanzig Jahren sind Daniel und ich ein Paar. Ein Kompliment habe ich nie bekommen. Gerne jedoch werde ich mit wachsender Begeisterung von ihm kritisiert. Ich kann es ihm eigentlich nie recht machen, es sei denn, ich schlafe. Da bin ich leise wie eine Feder im Wind und widerspreche nicht. Wehe ich vertrete mal eine andere Meinung als er, dann haben wir sofort wieder eine Diskussion, die sich bis in den späten Abend ausdehnen kann. Grrr, ich hasse dieses Gerede um Nichts! Dabei gibt es so viel Schönes, das man gemeinsam genießen könnte. Aber nein, mein lieber Daniel versteift sich auf unproduktive Wortwechsel, die einem unnötig Energie rauben. Die letzten Jahre frage ich mich immer öfter, was mich eigentlich bei ihm hält. Sein Bankkonto kann es nicht sein. Ich interessiere mich nicht für Geld, es ist mir nicht wichtig. Als wir uns kennenlernten, war er genauso mittellos wie ich. Wir haben unser schlichtes, freies Dasein genossen, sind gern in die Pizzeria nebenan essen gegangen, statt im Sternerestaurant oder haben uns am Kinotag den neuesten Film angesehen. Das Popcorn und die Getränke schleusten wir heimlich mit ein, um die teuren Preise zu boykottieren. Unsere Klamotten haben wir nach Geschmack ausgesucht und nicht nach dem Label. Wie sehr vermisse ich die alte Zeit, in der wir noch „einfach“ waren, ein Paar aus der Mittelschicht, vollkommen durchschnittlich. Jetzt werden die Freunde nach dem Portemonnaie ausgesucht und nicht nach Sympathie. Denn mit weniger gut betuchten Menschen kann Daniel nichts mehr anfangen. Die jammern ja ständig darüber, wie teuer alles sei. Doch für Hartmann, Daniel Hartmann, spielt Geld keine Rolle. Er ist der Obermufti der High Society, gehört zur Crème da la Crème, und das will er auch zeigen. Wo käme man denn da hin, wenn man sich für seinen Reichtum entschuldigen müsste?

Ich seufze und lasse die Puderdose in meine Tasche fallen. Herrje, ich will nicht zurück zum Tisch. Ich könnte einfach umfallen und mich vom Personal zum Taxi tragen lassen. Für einen schwachen Kreislauf kann ich ja nichts. Vielleicht sollte ich noch meinen Lippenstift nachziehen, um die Zeit zu überbrücken. Obgleich ich das gerade gemacht habe. Dabei verabscheue ich es, mir Farbe ins Gesicht zu pinseln. Die gehört auf eine Leinwand und nicht auf die Haut. Aber was soll ich sagen, Daniel legt großen Wert auf eine perfekt gestylte Frau von Stand. Dabei bin ich bloß die unvollkommene Frau von nebenan und möchte das auch gern wieder sein. Hätte ich damals gewusst, was mich mit Herrn Hartmann erwartet, wäre mir niemals in den Sinn gekommen, Frau Hartmann zu werden. 

 

„Leonie?“, ruft Daniel von draußen und klopft gegen die Tür der Damentoilette. Ich antworte nicht und überlege, so zu tun, als wäre ich längst weg. Plötzlich öffnet er die Pforte und entdeckt mich bei den Waschbecken. War ja klar, dass er die Unverfrorenheit besitzt, hier einzudringen. „Willst du nicht mal langsam zum Tisch zurückkehren? Wir warten alle auf dich. Das Dessert ist schon serviert worden.“

„Ja, ich wollte gerade aufbrechen.“

„Hast du mal auf die Uhr gesehen? Du bist bereits eine Viertelstunde weg. Was glaubst du wohl, was das für einen Eindruck macht?“

„Schon mal darüber nachgedacht, was dein Auftritt vorhin für einen Eindruck hinterlassen wird?“, kontere ich und würde ihn am liebsten anspringen und ihm in seine überhebliche Visage trommeln.

„Irgendwie musste ich dich doch davor bewahren, noch mehr Unfug von dir zu geben“, hält er dagegen. „Jetzt komm endlich, die Hühnerbeine warten.“ Er grinst bei seiner eigenen Bemerkung, die er enorm witzig findet.

„Die Hühnerbeine können warten, die Hartmänner müssen sich erst streiten!“, lasse ich verlauten und bewege mich keinen Zentimeter von der Stelle.

„Hast du vor, mich zu blamieren vor meinen Geschäftskunden?“, fragt er aggressiv. 

„Das schaffst du auch allein.“

„Meine Güte, du bist immer so stur. Hier geht es um Millionen und Madame fühlt sich auf den Schlips getreten.“

„Ich fühle mich vor allem nicht ernst genommen.“

„Reden wir jetzt über deine verletzten Gefühle?“, fragt er und lächelt boshaft. „Also lässt du die Mimose raushängen, ausgerechnet an so einem Tag!“ Sein schroffes Lächeln verschwindet. „Prima. Das ist ja wirklich super! Mach nur weiter so und du wirst alles ruinieren!“

Iiiich? Fragend drehe ich mich um. Außer meiner Wenigkeit und Herrn Hartmann ist niemand da. Also wende ich mich ihm wieder zu und zeige mit dem Finger auf mich. 

„Meinst du etwa mich?“

„Hallo?“, gibt er erhitzt von sich. „Wen denn sonst? Ständig spielst du die Beleidigte, anstatt dir mal klarzumachen, um was es geht!“

„Hier geht es einzig und allein um deine Großspurigkeit, mit der du die Menschen um dich herum niederrennst. Du bemerkst nicht mal, wenn du andere kränkst.“

„Ich habe niemanden gekränkt und du bist ja dauernd eingeschnappt.“

„Ach so.“

„Bewegst du deinen Hintern bitte zurück an den Tisch?“

Unwillig gehe ich an ihm vorbei und trete in den Flur. Ich sehe die Hühnerbeine von Weitem, wie sie sich zuprosten und sich einen Kuss zuwerfen. Könnte Daniel doch nur eine Spur von der Warmherzigkeit besitzen, mit der sich dieses Ehepaar liebt.

 

2

 

Am nächsten Morgen bin ich froh, als Daniel zur Arbeit fährt. Endlich allein. Keine Vorwürfe, kein Gezeter. Nur Ruhe und Frieden. Ich genieße die Zeit ohne ihn. Das sollte mir zu denken geben. Andere vermissen ihren Partner, freuen sich darauf, ihn nach Feierabend zu sehen. Ich dagegen bin dankbar für jede freie Minute. Diese Stille im Haus, das angenehme Rauschen der Heizung, das so meditativ auf mich wirkt. Ich finde das Leben toll – solange Daniel nicht in meiner Nähe ist. 

 

Nach dem Frühstück gehe ich in mein Atelier, das unterm Dach des Hauses liegt. Von dort aus habe ich einen prächtigen Blick auf die Gärten der Nachbarn. Wie sehr ich es liebe, hier oben zu sein und den Pinsel über die Leinwand gleiten zu lassen. Jeder Pinselstrich ist für mich höchste Sinneslust. Das Malen macht mich glücklich, gibt mir die nötige Kraft, die ich brauche, um mich gegen Daniel zu behaupten. Ich bin es leid, mich zu streiten, jedes unnötige Wort möchte ich uns ersparen. Deshalb bin ich im Laufe der Jahre zu einer Memme mutiert, denn Widerspruch ist zwecklos. Ist man mit einer Kampfmaschine verheiratet, hisst man eines Tages freiwillig die weiße Fahne, um schließlich Ruhe zu haben. Trotzdem genehmige ich mir hin und wieder eine kleine Revolte. Vor allem, wenn es um das Thema „Verreisen“ geht. Manchmal erhebe ich Einspruch und bitte um einen Urlaub in den eigenen vier Wänden. 

„Ha!“, ruft Daniel dann aus. „Das ist doch kein Urlaub. Ich muss fliegen. Möglichst weit weg. Nur so kann ich mich richtig erholen.“

„Wie wäre es mit zwei Reisen im Jahr statt fünf?“

„Kommt nicht infrage. So kann ich nicht richtig abschalten.“

„Und wenn wir mal in Deutschland urlauben?“

„Willst du mich verkohlen? Ich muss was von der Welt sehen!“

Ja, und jedem erzählen, wo er überall schon war. Denn Prahlen ist Daniels Hobby: Hey, ich war in Las Vegas, Mexico, China, Japan, England … Ich bin ein Held, denn ich kenne die Welt und kann überall mitreden. Ich bin Daniel, der Columbus des 21. Jahrhunderts. 

Wahrscheinlich ist dieses übertriebene Reiseverlangen der Grund, warum ich nicht mehr so gern in ferne Länder aufbreche. Eigentlich dachte ich mal, mir würde das gefallen. Aber vier- bis fünfmal im Jahr ins Ausland ist einfach zu viel. Entspannung finden wir im Urlaub nie, denn Daniel will möglichst viel sehen, rennt von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Nur faul am Strand zu liegen, ist nichts für ihn. Da könnte er ja was verpassen. Eigentlich läuft unser gesamtes Leben auf der Überholspur ab, sodass ich mich oft ausgelaugt und verbraucht fühle. Ich sollte mal ein paar Jahrzehnte Pause beantragen, um mich vom Ehestress zu erholen. Bloß wo sollte ich meinen Antrag einreichen? Bis auf Daniel habe ich keinen Chef, weil ich zu Hause arbeite. Meine Malerei wirft nicht viel ab, denn mein großer Durchbruch lässt auf sich warten. Natürlich nimmt mein Mann meine Arbeit nicht ernst, so wie er eigentlich nie etwas ernst nimmt, was ich tue oder sage.

Warum bin ich noch hier?

Diese Frage stelle ich mir immer öfter. Hoffe ich, ihn zu ändern, die alte Zeit eines Tages zurückzuholen? Wäre es so, bin ich eine Traumtänzerin, denn Vergangenes ist vergangen. Menschen lassen sich nicht umformen, und schon gar nicht Daniel. Ich kann ihm keinen Fahrplan in die Hand drücken und sagen: „So, von nun an lenken wir unser Boot in meine Richtung, leben so, wie ich es für uns vorgesehen hab.“

So funktioniert das nicht! Denn Daniel lässt sich nichts sagen. Er macht sein Ding. Der Partner muss ihm folgen und nicht umgekehrt!

 

Das Telefon klingelt. Meine Agentin ruft an. Elli. Na ja, Agentin ist vielleicht ein bisschen hochgestochen. Sie ist meine Freundin und kümmert sich um die Vermarktung meiner Bilder. Bisher war sie damit nicht besonders erfolgreich. Gelegentlich organisiert sie eine Vernissage in einer Kaschemme, aber das führte bisher lediglich zu geringfügigen Verkäufen. Mein Bekanntheitsgrad ist gleich null. Solange ich es nicht schaffe, meine Kunstwerke auf exklusiven Kunst-Events zu präsentieren, sitze ich weiterhin in der zweiten und dritten Reihe, da, wo mich niemand sieht.

„Hey, Leonie“, begrüßt sie mich und scheint gut gelaunt zu sein. „Ich habe einen Raum für eine Ausstellung gefunden. Ein ehemaliger Dance-Club im Industriegebiet.“

„Oh“, sage ich und teile ihre übertriebene Begeisterung nicht. Ein Club im Industriegebiet, eine Gegend, die vollkommen ausgestorben ist, wo sich nicht mal ein Eichhörnchen hin verirrt. Aber ich möchte sie nicht demotivieren und lasse sie meine Dankbarkeit spüren. „Das ist ja toll. Klasse.“

„Wenn du willst, können wir uns die Räumlichkeiten nachher mal ansehen. Der Preis, den der Vermieter verlangt, ist human.“

„Ach ja?“, frage ich und kann mir nicht vorstellen, dass sich die Kosten mit dem Verkauf der Bilder amortisieren werden. Bis jetzt war es fast immer ein Zuschussgeschäft.

„Ja, er verlangt nur 2.500 Euro. Ist das nicht supi?“

Ich pruste und schnappe kurz darauf nach Luft. 

„Wirklich, supi“, antworte ich und überlege, wie ich Daniel überreden kann, mir den Betrag ohne Zänkerei auszuzahlen. Er glaubt nicht, dass meine Bilder gut genug sind, um jemals Anklang in der Kunstwelt zu finden. Er traut mir nicht zu, eine Mallegende zu werden. Ich selbst weiß natürlich genau, dass ich es eines Tages schaffe! Würde ich das nicht glauben, könnte ich kapitulieren. Doch fürs Aufgeben bin ich nicht geschaffen. Ich bin als Kämpferin geboren worden. Dumm nur, dass ich mit einem Kampfhahn verheiratet bin, der mich um Längen schlägt. Ständig meint er, alles besser zu wissen als ich, deshalb pflügt er jegliche meiner Ideen nieder. Er mischt sich in Dinge ein, von denen er nichts versteht, argumentiert mich solange an die Wand, bis ich nachgebe und mich seinen Ansichten füge. Vermutlich mangelt es mir deshalb an Erfolg. Weil ich mich nicht genügend durchsetze, um meinen eigenen Weg zu gehen.

„Und? Treffen wir uns nachher?“, will Elli wissen und bedrängt mich eine Spur zu heftig. Eigentlich wollte ich mich den ganzen Tag mit Malen beschäftigen und mich nicht für eine unproduktive Besichtigung in einer Fabrikhalle verabreden. Da ich Elli aber niemals etwas abschlagen kann, stimme ich zu. „Fein“, jubelt sie, „dann hole ich dich um dreizehn Uhr ab.“

 

Als es an der Tür schellt, schrecke ich auf und schaue auf die Uhr. Verflucht, ich habe die Zeit total aus den Augen verloren. Sobald ich male, tauche ich in meine Bilder ein und vergesse die Welt um mich herum. Ich lege den Pinsel beiseite und renne vom Dachgeschoss ins Erdgeschoss, um Elli in meiner weißen mit Farbtropfen besprenkelten Latzhose zu öffnen. 

„Elli!“, rufe ich aus, als ich ihr die Tür öffne. „Ist es schon so weit?“

„Mannomann, Leonie, der Typ erwartet uns um halb zwei. Wie sollen wir das schaffen, wenn du noch nicht fertig bist?“

„Ich bin fertig. Wir können direkt los.“

„So?“

„Ja, wo ist das Problem?“

„Na, dein Aufzug!“

„Ach was, das ist schon in Ordnung. Ich will ja keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, sondern bloß einen Raum anmieten.“

„Wie du meinst. Aber wir fahren mit deinem Auto. Hab keine Lust auf Farbflecke im Polster.“

„Klar, machen wir.“ Ich greife nach dem Wagenschlüssel und meinen Papieren. „Kann losgehen.“

 

3

 

Pünktlich um halb zwei erreichen wir die stillgelegte Fabrik. Ein junger Mann im Dreiteiler steigt aus seinem offenen Sportwagen und schlendert langsam auf uns zu, während ich mein Auto peinlich genau auf einer eingezeichneten Parkfläche abstelle, was natürlich nicht nötig gewesen wäre, da sonst kein einziges Fahrzeug hier steht.

„Schau mal, Leonie, was da für ein Sahneschnittchen auf uns zukommt.“

„Ich sehe nur einen Lackaffen im Designerfummel.“

Elli verdreht die Augen über meine Bemerkung und steigt aus, um ihrem Tortenstück entgegenzulaufen. Ich lasse mir Zeit, denn ich hab’s nicht eilig. Sobald ich einen Kerl im Anzug sehe, krieg ich das Würgen. Vermutlich liegt’s an Daniel, der tagtäglich in perfekter Montur das Haus verlässt und ich diesen Anblick nicht mehr ertragen kann. Obwohl der Anblick nichts dafür kann, lediglich das aufgeblasene Gehabe meines Ehegatten. Somit sehe ich in jedem Anzugträger einen Snob. Schlimm genug mit einem verheiratet zu sein. Da brauch ich nicht auch noch einem blasierten Hammel auf dem Industriegelände zu begegnen.

Langsam bewege ich mich aus meinem roten Mazda, der in etwa so alt ist wie ich. Ich liebe meine Knutschkugel, weil sie mich niemals im Stich lässt. Natürlich sieht sie nach nichts aus, wirkt wie ein alter Marienkäfer aufgrund ihrer vielen Rostflecke, die ich liebevoll pflege und ausbessere. Aber ich bin Menschen und Gegenständen ein Leben lang treu. Daher tausche ich weder Daniel noch mein Auto aus, auch wenn die Zeit reif wäre. 

Elli winkt mir von Weitem zu und fordert mich auf, mich zu ihrem Kuchenstück dazuzugesellen. Ich stecke meine Hände in die Taschen der Latzhose und schlürfe angeödet zu ihr und diesem Aufschneider. Ogottogott, seine Parfümwolke erreicht mich schon aus einhundert Meter Entfernung. Ich rümpfe die Nase und mein Unwille, ihm näherzukommen, wird immer größer. Kann Elli das nicht allein aushandeln? Ich hab eine Allergie gegen Sahneschnittchen. Vor allem wenn sie nach Parfümerie stink … äh, duften. Plötzlich verführt der Geruch meine Nase und setzt sich sanft auf meine Flimmerhärchen. Mein Kopf beugt sich von allein vor und scheint sich flinker als der Rest meines Körpers zu bewegen. Nun kann ich nicht schnell genug bei der Süßspeise ankommen, weil sie meinen Geruchssinn mehr umschmeichelt, als mir lieb ist. Ich bin hypnotisiert. 

„Frau Hartmann?“, spricht mich der Leckerbissen mit seiner Baritonstimme an und ich warte darauf, dass das Orchester mit einstimmt. 

„Äh ja, Herr …“, flöte ich meinen unvollständigen Satz wie eine Nachtigall. Ich wusste gar nicht, dass meine Stimmbänder solche Töne von sich geben können. Als wäre ich geradewegs aus dem Feenreich entsprungen.

„Rosenbaum“, stellt sich die Parfümwolke vor und reicht mir die Hand. „Leon Rosenbaum.“

„Leon?“, schießt es aus Elli heraus. „Wenn das kein gutes Omen ist. Meine Freundin heißt Leonie.“ 

Plaudertasche! 

„Ach, wirklich?“, fragt Leon Sahneschnitte. „Was für ein charmanter Zufall.“

Ich werde rot. Gott, ich will nach Hause! Raus aus dieser haarsträubenden Situation. 

„Ja, in der Tat“, sage ich ruppig. „Können wir jetzt zum Geschäftlichen kommen?“

„Selbstverständlich“, lächelt Herr Rosenbaum und weist uns den Weg. „Bitte schön, dort entlang.“

Ich tapse an der Chanelwolke vorbei und nehme einen kräftigen Zug. Eigentlich hasse ich Gerüche jeglicher Art, es sei denn, es handelt sich um Öl- oder Aquarellaromen. Doch dieses würzige Odeur raubt mir beinahe den Verstand. Ich fühle mich wie aufgeputscht. 

„Wann benötigen Sie die Räumlichkeiten?“, erkundigt er sich, während er sich unserem Schritt anpasst. 

„Samstag in vier Wochen“, legt Elli fest, als hätte sie längst eine Liste von Gästen im Gepäck, die schon in den Startlöchern stehen. Dabei sind sie und ich bislang die einzigen Teilnehmer dieser unüberlegten Aktion. Immerhin müsste ich erst mal durchzählen, ob meine Bilder überhaupt reichen. Als wir die Halle betreten, zweifle ich daran, dass meine Kunstwerke sie ausfüllen. Um Himmels willen, die ist ja viel zu groß!

„Elli, ich glaube, wir sollten noch mal darüber nachdenken“, versuche ich ihren Enthusiasmus zu dämpfen.

Bevor Elli antworten kann, geht Herr Rosenbaum dazwischen.

„Über den Preis lässt sich selbstverständlich reden“, kommt er uns bereits entgegen, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht ans Handeln gedacht habe.

„Ja, Herr Rosenbaum“, lässt Elli mich links liegen, als hätte ich sie gerade nicht angesprochen. „Der Preis erscheint mir auch ein wenig zu hoch.“

„Bitte machen Sie sich keine Gedanken, wir werden uns schon einig. Konzentrieren Sie sich nur auf Ihre Veranstaltung.“

Ich linse zu Leon Rosenbaum und frage mich, wieso er sofort bereit ist, den Preis zu drücken. Ich erwarte eine raffinierte Hinterlist und diese in seinem Gesicht zu erkennen. Stattdessen trifft mich sein sanftmütiger Blick mitten ins Herz. Blaue Augen so wässrig wie mein Mund (läuft mir schon der Sabber am Kinn herunter?) betrachten mich verzückt. Sein Lächeln ist aufrichtig und seine Mimik warmherzig. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Anzugträger mit ehrlichen Augen gesehen zu haben. Oder ist sein Mienenspiel bloß Tarnung? Steckt auch in ihm eine gewissenlose Bestie, die nur darauf wartet, skrupellose Geschäfte zu betreiben?

„Prima“, erwidert Elli, „wir nehmen den Raum.“

„Äh …“, sage ich und fange eine abwehrende Geste meiner Freundin ein, die in etwa heißen sollte: Halt die Klappe!

„Das freut mich“, sagt Herr Rosenbaum und beim Klang seiner Stimme fällt mir das Thema eines neuen Bildes ein: eine Cello-Solistin neben einem Rosenstock. Prompt bin ich begierig, so bald wie möglich mit dem Kunstwerk zu beginnen. Vielleicht könnte ich es bis zur Ausstellung fertig bekommen. 

„Sind Sie auch damit einverstanden, Leonie?“, fragt mich Leon, die edelmütige Sahneschnitte. Überrascht, von ihm angesprochen zu werden, wo doch Elli über meinen Kopf hinweg bereits alles klargemacht hat, starre ich ihn an und überlege, welche geistreiche Antwort ich geben könnte.

„Nun ja“, sage ich und lasse meinen Blick noch mal durch die Halle kreisen. „Ich finde die Räumlichkeiten ein wenig zu groß. Also, sie sind toll, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, ob meine Bilder die Fläche ausfüllen können.“

„Sie sind Künstlerin?“

„Oh, ähm … ja … also … na ja.“

„Sie ist Malerin“, klärt Elli ihn auf. „Auf dem Wege zu Ruhm und Erfolg.“

„Bitte, Elli, bleib auf dem Teppich. Du weißt, dass ich Prahlerei nicht ausstehen kann und ich bin alles andere als erfolgreich. Tut mir leid, Herr Rosenbaum, aber meine Freundin neigt zu maßlosen Übertreibungen. Meine Bilder sind gänzlich unbekannt, niemandem ist mein Name ein Begriff.“

„Das sollte geändert werden“, sagt er und sieht mich an, als hätte er schon die passende Idee.

„Glauben Sie mir, das versuche ich seit Jahren. Doch es gibt genügend gute Künstler, ich bin nur ein unbedeutendes Korn unter vielen.“

„Ich kenne einen Galeristen in Hamburg Eppendorf“, erklärt Leon Rosenbaum so nebenbei, als wäre es das Normalste der Welt, Galeristen zu kennen. Wenn Sie wollen, spreche ich ihn an. Er könnte sich Ihre Bilder ansehen.“

Donnerlittchen, der Kerl erscheint hier mit einer Prahlerkiste in einem Prahleranzug und stellt mein Weltbild auf den Kopf. Er ist nett! Typen mit Prahlerkisten und Prahleranzügen sind nie nett! Wieso tanzt Leon, das Tortenstück, aus der Reihe? Ich muss meine Ansichten über Anzugträger neu überdenken. Womöglich sind meine Berechnungen falsch und ich habe einen wichtigen Parameter übersehen. 

„Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, Herr Rosenbaum, aber Ihr Angebot kann ich nicht annehmen. Ich möchte nicht, dass Sie sich blamieren vor Ihrem Bekannten, falls meine Bilder dem Standard nicht entsprechen. Das wäre mir unangenehm.“

„Waas?“, geht Elli dazwischen. „Selbstverständlich nehmen wir das Angebot an!“

„Elli, das entscheide ich allein!“

„Ich bin deine Agentin! Das ist meine Entscheidung!“

„Du bist meine Freundin, die mich unterstützt, wofür ich dir dankbar bin. Doch in dieser Angelegenheit denke ich nun mal anders.“

„Frau Hartmann, ich möchte mich natürlich nicht aufdrängen“, mischt sich das Tortenstück ein, „aber glauben Sie nicht, dass Ihre Entscheidung auf mangelndem Selbstvertrauen beruht? Sollte meinem Bekannten Ihre Kunst nicht gefallen, habe ich kein Problem damit. Sie jedoch verpassen eine Chance.“

Ich starre Leon Rosenbaum an, als wäre er nicht von dieser Welt. Zuspruch bin ich nicht gewohnt. Daniel hält mich klein wie ein Atom und ihm würde nicht im Traum einfallen, mich darin zu bestärken, meine Bilder an den Mann zu bringen. 

„Ich weiß nicht“, sage ich leise und wechsle den Blick auf meine Füße. Ich hab nicht mal anständige Schuhe an, sondern meine Hausschlappen. Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Wie peinlich! Leon, die Süßspeise, scheint sich daran nicht zu stören. Mein gesamter Aufzug ist eine Katastrophe und er sieht nur die Künstlerin in mir, obwohl er mich überhaupt nicht kennt. „Darüber muss ich erst mal nachdenken“, erwidere ich und schaue wieder in sein perfektes Gesicht. Mein lieber Scholli, er ist ein Prachtexemplar und wirkt so natürlich wie ein Berg Heu! Männer seines Kalibers sind in der Regel von Geltungsbedürfnis getrieben, denken bloß an sich selbst und ihre Ziele. Leon Rosenbaum dagegen macht den Anschein, dass er nicht weiß, welche Anziehungskraft er ausstrahlt. Ihm sind die anderen wichtig, auch wenn er ein gutes Geschäft einbüßt. 

„Selbstverständlich“, sagt er und greift in die Innentasche seines Jacketts. Er zieht eine Visitenkarte hervor und reicht sie mir. „Sollten Sie es sich anders überlegen, freue ich mich über Ihren Anruf.“ 

Ich nicke und starre danach auf die Karte. 

„Rosenbaum Immobilien?“, frage ich und lasse meinen Blick zu seinen leuchtenden Augen wandern. „Sie sind Immobilienmakler?“

„Ich bin Immobilienhändler“, erklärt er mir mit einem sanften Lächeln.

„Gibt es da einen Unterschied?“, frage ich irritiert.

„Falls ich Sie dazu überreden kann, erkläre ich es Ihnen gerne bei einem Abendessen“, bietet er mir freimütig an ...

 

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